Ich kann kein Gender – Gender kann mich mal
Lucien, Agender und Autor von AgenderAgenda
Sehr geehrte Damen und Herren, Intersexuelle, Transsexuelle, Transgender, Cisgender, Agender und alle nicht-binären Leser'innen und Lesenden*
..Mit dieser farbenfrohen Anrede sollten sich nun alle Menschen angesprochen fühlen. Wieso ich dann aber nicht einfach »Hallo, alle Menschen« schreiben kann, ist die zentrale Frage dieser Agenda. Weitere knifflige Fragen sind u. a.: »Wat is Gender un wie mach ich dat?«, »Wieso haben wir eigentlich Gender?«, »Ist Emanzipation echt nur Einbahnstraße oder spinnt mein Navi?«, »Geschlechtsanpassung oder Gesellschaftswandel?«, »Wie viele Geschlechtsidentitäten brauchen wir eigentlich noch für alle 7,6 Mrd. Individuen auf dieser Welt?« und »Wollen die dann alle ihre eigene Gendertoilette?« oder »Wer zur Hölle braucht überhaupt Gender?«
Auf letztere Frage habe ich zum Glück auch noch keine wirklich kluge Antwort gefunden, lamentiere und publiziere aber trotzdem darüber, weil im tagespolitischen Geschlechterzirkus niemand sitzen, aber jeder die Manege betreten sollte. Um mich also kurz vorzustellen: Mein Name ist Lucien und ich bin geschlechtsblind. Ich wurde so geboren. Das bedeutet, mein Gehirn verarbeitet geschlechtsbezogene Informationen nur sehr begrenzt. Die faktischen Unterschiede zwischen männlichen, weiblichen, trans- oder intersexuellen Körpern nehme ich natürlich genauso wahr wie jeder normale Mensch. Aber mein Gehirn ist nicht fähig, diese Wahrnehmung mit anderen Informationen, wie etwa Selbstwahrnehmung, Selbstwertgefühl oder Rollenverhalten, sinnvoll zu verknüpfen.
Um es an einem banalen Beispiel zu verdeutlichen: Männer haben immer die Hosen an, während Röcke nur von Frauen getragen werden. Tragen Frauen ebenso Hosen, ist das Emanzipation. Tragen Männer Röcke, ist das Travestie. Solch scheinbar ganz normalen Sachverhalte sind für mich nur sehr schwer bis gar nicht nachvollziehbar. Ich könnte mir höchstens anerziehen lassen, dass man das halt so macht, vergesse es aber auch wieder und trage Rock oder Hose je nach Wind und Wetter. Behandelbar ist das nicht, aber ich kann mehr als gut damit leben. Manchmal glaube ich sogar, dass in Wahrheit nicht ich, sondern alle anderen bekloppt sind.
Die Gendertheorie definiert dies mit »Agender« als Person, die »(..) mit dem Konzept Geschlecht nichts anfangen kann«. ‑Ja, damit kann ich wirklich nicht viel anfangen, aber ich kann sehr gut damit aufhören. Ich komme auch nicht aus der Gendertheorie, sondern aus der Genderpraxis. Ich lebe jeden Tag in einer Welt voller Genderthemen ohne selber Gender zu haben. Ich bin einer der wenigen Menschen, die einfach nur Mensch sein wollen ohne dabei Frau oder Mann sein zu müssen.
Alles fing einmal damit an, dass ich mit Penis auf diese Welt kam. Und auch wenn das, was ich zwischen den Beinen habe, mir persönlich bis zu meiner Pubertät ziemlich egal war, so bestimmte es doch vom ersten Tag an, wie mein Leben auszusehen hat. Was ich zu denken, zu fühlen, zu lieben, zu werden, zu tun und zu lassen habe. Aber ich war mehr und wollte mehr als mein Gender mir gestattete. Prinzipiell fand ich es nicht schlecht, Mann zu sein, aber genug war mir das allein auch nicht. Ich wollte auch das, was mein Geschlecht traditionell nicht durfte. Also verabschiedete ich mich von meinem Gender, überschritt die engen Grenzen, die es mir auferlegte und begab mich auf ein unglaubliches Abenteuer: Die aufregende Suche nach der eigenen Geschlechtsidentität. Dabei habe ich von Herr bis Herrin, von Herrchen bis Heimchen, von Macho bis Mutti, von Schlampe bis Schwuchtel, von Doggy bis Domina, von Bitch bis Badboy und von Cis bis Sissy, jede Menge Gender und ihre Rollenbilder gelebt, genossen und erlitten.
Doch je mehr ich davon kennenlernte, desto weniger Sinn machte das Konzept Geschlecht für mich. Ich erkannte, dass ich nicht mein Geschlecht wechseln muss, um etwas zu tun oder zu sein, was traditionell nur einem anderen Geschlecht vorbehalten ist, sondern mich lediglich emanzipieren muss. Ich merkte, dass ich nicht die Qualitäten eines Genders aufgeben musste, um die eines Anderen zu erhalten. Mir wurde bewusst, wie dumm ich war zu glauben, es wäre tatsächlich eine gute Idee, die eine Gefängniszelle gegen eine andere auszutauschen und darin weniger eingesperrt zu sein. Wenn Gender mein Problem war, konnte Gender nicht die Lösung sein. Und vor allem: Ich erfuhr, wie groß und facettenreich ich und meine Welt sein konnten. Ich war nicht mehr nur der weiße Ritter, der die holde Prinzessin vor dem bösen Drachen errettete. Ich konnte genauso gut auch die Prinzessin sein. Oder beides in einem. Oder gar nichts davon. Oder der böse Drache. Oder was auch immer. Egal, ohne Gender konnte ich endlich alles sein, was ich bin. So vereine ich nun das Beste und das Schlimmste aller Gender und ihrer Rollenbilder in mir.
So, das sind ich und meine Gendergeschichten. Die Quintessenz daraus: Ich kann kein Gender – Gender kann mich mal! Nach diesem Kredo lebe und blogge ich. Damit will ich niemandem sagen wie er, sie oder xier zu leben hat, aber ich möchte mein Leben und dessen Erkenntnisse mit der Welt, in der ich sie fand, teilen. Wenn es auch nur einem Menschen hilft, sich von Genderthemen ein bisschen weniger verrückt machen zu lassen, hat sich das Ganze schon gelohnt.
Zauberhafte Worte einer bezaubernden Lady.
Wenn ich höre Gender wäre nutzlos, muss ich wiedersprechen. Unser Geschlecht definiert uns. Das lasse ich mir nicht nehmen
Niemand will Dir dein Geschlecht wegnehmen. kannst behalten!
Schön was du teilst..