Ich kann kein Gender – Gender kann mich mal
4. Juni 2022
..Mit dieser farbenfrohen Anrede sollten sich nun alle Menschen angesprochen fühlen. Wieso ich dann aber nicht einfach »Hallo, alle Menschen« schreiben kann, ist die zentrale Frage dieser Agenda. Weitere knifflige Fragen sind u. a.: »Wat is Gender un wie mach ich dat?«, »Wieso haben wir eigentlich Gender?«, »Ist Emanzipation echt nur Einbahnstraße oder spinnt mein Navi?«, »Geschlechtsanpassung oder Gesellschaftswandel?«, »Wie viele Geschlechtsidentitäten brauchen wir eigentlich noch für alle 7,6 Mrd. Individuen auf dieser Welt?« und »Wollen die dann alle ihre eigene Gendertoilette?« oder »Wer zur Hölle braucht überhaupt Gender?«
Auf letztere Frage habe ich zum Glück auch noch keine wirklich kluge Antwort gefunden, lamentiere und publiziere aber trotzdem darüber, weil im tagespolitischen Geschlechterzirkus niemand sitzen, aber jeder die Manege betreten sollte. Um mich also kurz vorzustellen: Mein Name ist Lucien und ich bin geschlechtsblind. Ich wurde so geboren. Das bedeutet, mein Gehirn verarbeitet geschlechtsbezogene Informationen nur sehr begrenzt. Die faktischen Unterschiede zwischen männlichen, weiblichen, trans- oder intersexuellen Körpern nehme ich natürlich genauso wahr wie jeder normale Mensch. Aber mein Gehirn ist nicht fähig, diese Wahrnehmung mit anderen Informationen, wie etwa Selbstwahrnehmung, Selbstwertgefühl oder Rollenverhalten, sinnvoll zu verknüpfen.
Um es an einem banalen Beispiel zu verdeutlichen: Männer haben immer die Hosen an, während Röcke nur von Frauen getragen werden. Tragen Frauen ebenso Hosen, ist das Emanzipation. Tragen Männer Röcke, ist das Travestie. Solch scheinbar ganz normalen Sachverhalte sind für mich nur sehr schwer bis gar nicht nachvollziehbar. Ich könnte mir höchstens anerziehen lassen, dass man das halt so macht, vergesse es aber auch wieder und trage Rock oder Hose je nach Wind und Wetter. Behandelbar ist das nicht, aber ich kann mehr als gut damit leben. Manchmal glaube ich sogar, dass in Wahrheit nicht ich, sondern alle anderen bekloppt sind.
Die Gendertheorie definiert dies mit »Agender« als Person, die »(..) mit dem Konzept Geschlecht nichts anfangen kann«. ‑Ja, damit kann ich wirklich nicht viel anfangen, aber ich kann sehr gut damit aufhören. Ich komme auch nicht aus der Gendertheorie, sondern aus der Genderpraxis. Ich lebe jeden Tag in einer Welt voller Genderthemen ohne selber Gender zu haben. Ich bin einer der wenigen Menschen, die einfach nur Mensch sein wollen ohne dabei Frau oder Mann sein zu müssen.
Alles fing einmal damit an, dass ich mit Penis auf diese Welt kam. Und auch wenn das, was ich zwischen den Beinen habe, mir persönlich bis zu meiner Pubertät ziemlich egal war, so bestimmte es doch vom ersten Tag an, wie mein Leben auszusehen hat. Was ich zu denken, zu fühlen, zu lieben, zu werden, zu tun und zu lassen habe. Aber ich war mehr und wollte mehr als mein Gender mir gestattete. Prinzipiell fand ich es nicht schlecht, Mann zu sein, aber genug war mir das allein auch nicht. Ich wollte auch das, was mein Geschlecht traditionell nicht durfte. Also verabschiedete ich mich von meinem Gender, überschritt die engen Grenzen, die es mir auferlegte und begab mich auf ein unglaubliches Abenteuer: Die aufregende Suche nach der eigenen Geschlechtsidentität. Dabei habe ich von Herr bis Herrin, von Herrchen bis Heimchen, von Macho bis Mutti, von Schlampe bis Schwuchtel, von Doggy bis Domina, von Bitch bis Badboy und von Cis bis Sissy, jede Menge Gender und ihre Rollenbilder gelebt, genossen und erlitten.
Doch je mehr ich davon kennenlernte, desto weniger Sinn machte das Konzept Geschlecht für mich. Ich erkannte, dass ich nicht mein Geschlecht wechseln muss, um etwas zu tun oder zu sein, was traditionell nur einem anderen Geschlecht vorbehalten ist, sondern mich lediglich emanzipieren muss. Ich merkte, dass ich nicht die Qualitäten eines Genders aufgeben musste, um die eines Anderen zu erhalten. Mir wurde bewusst, wie dumm ich war zu glauben, es wäre tatsächlich eine gute Idee, die eine Gefängniszelle gegen eine andere auszutauschen und darin weniger eingesperrt zu sein. Wenn Gender mein Problem war, konnte Gender nicht die Lösung sein. Und vor allem: Ich erfuhr, wie groß und facettenreich ich und meine Welt sein konnten. Ich war nicht mehr nur der weiße Ritter, der die holde Prinzessin vor dem bösen Drachen errettete. Ich konnte genauso gut auch die Prinzessin sein. Oder beides in einem. Oder gar nichts davon. Oder der böse Drache. Oder was auch immer. Egal, ohne Gender konnte ich endlich alles sein, was ich bin. So vereine ich nun das Beste und das Schlimmste aller Gender und ihrer Rollenbilder in mir.
So, das sind ich und meine Gendergeschichten. Die Quintessenz daraus: Ich kann kein Gender – Gender kann mich mal! Nach diesem Kredo lebe und blogge ich. Damit will ich niemandem sagen wie er, sie oder xier zu leben hat, aber ich möchte mein Leben und dessen Erkenntnisse mit der Welt, in der ich sie fand, teilen. Wenn es auch nur einem Menschen hilft, sich von Geschlechtsthemen ein bisschen weniger verrückt machen zu lassen, hat sich das Ganze schon gelohnt.
Who the Fuck is Gender
2. Juli 2022
Google sagt: »Geschlechtsidentität des Menschen als soziale Kategorie«. Wikipedia sagt: »soziales Geschlecht, (..) Geschlechtseigenschaften, welche eine Person in Gesellschaft und Kultur beschreiben«. Zwei durchaus treffende Definitionen. Wenn man sie zum ersten Mal liest, fragt man sich oft: »Und wo ist jetzt der Unterschied zwischen Gender und Geschlecht?« Die Antwort auf diese Frage füllt ganze Bücherregale, aber um es vereinfacht auszudrücken: Geschlecht ist, was du zwischen den Beinen hast. Gender ist die Überinterpretation dessen, die dir sagt was das für dein Leben zu bedeuten hat. Die nächste Frage dazu ist meistens: »Hängt das denn nicht zusammen?« Die Antwort darauf füllt dann das nächste Bücherregal und lautet: »Nein, eigentlich nicht, aber..« Hinter den Wörtchen »eigentlich« und »aber« steckt die Realität, in der wir leben und in dieser wurde jedem Menschen von Geburt an so lange und allumfassend anerzogen, es gäbe da einen Zusammenhang, dass es ihn inzwischen leider wirklich gibt. Es gibt ihn, weil wir an ihn glauben. Gender ist nichts real Greifbares. Es ist eine fixe Idee der Menschheit. Ein uralter Aberglaube daran, dass nicht nur unser Körper, sondern auch unser Charakter ein Geschlecht hätte. Dieser Irrtum reproduziert sich seit Jahrtausenden und ist die kulturelle Wurzel so vieler sozialer Probleme: Sexismus, Diskriminierung, Chauvinismus, Männerhass, Selbsthass, Geschlechterkampf, Ungleichheit und Ungerechtigkeit.
Die mit Sicherheit meistbenutzten Gender sind die sog. CisGender(lat. cis‑, diesseits). Das beschreibt alle Menschen mit männlichem Körper, die sich als Mann fühlen und alle Menschen mit weiblichen Körper, die sich als Frau fühlen. Auch wenn ich persönlich das nicht nachvollziehen kann, ist das vollkommen in Ordnung und genauso richtig wie jede andere Kombination. Auch wenn die für körperl. und sozilaes Geschlecht gleiche Wortwahl "männlich/weiblich" etwas missverständlich ist, weil sie die Missinterpretation es gäbe einen Zusammenhang zwischen körperl. und sozialem Geschlecht, nahelegt. Ein Irrtum, den man leider leicht begeht. Bis zum Ende des letzten Jahrtausends waren die zwei Varianten der Cisgender, CisFrau und CisMann, tatsächlich die beiden einzigen Gender der westlichen Kulturen. Heute machen diese beiden immer noch den Großteil aller verwendeten Gender aus, aber die Tendenz ist stark fallend. Und das ist auch gut so. Denn 2 Gender für alle 7,6 Mrd. Individuen auf der Welt ist schon rein mathematisch totaler Irrsinn. Außerdem wird das der wunderbaren Vielfalt menschlichen Lebens nicht ganz gerecht. Daher haben im Laufe der letzten Jahrzehnte zum Glück auch viele neue wunderschöne Genderkonzepte entwickelt. Darunter z.b. Genderfluid, Genderqueer, Transgender, Demigender, Intergender, SchrödingerGender, Agender und wie sie alle heißen. Die sollte man sich ruhig mal angucken. Wer sich in seinem Gender nicht gänzlich wohl fühlt findet da oft was Passenderes und so mancher der denkt Cis zu sein findet sich da manchmal ganz woanders wieder. Und wer wirklich Cis ist, gewinnt vielleicht mehr Verständnis für seine farbenfrohe Umwelt. Aber egal ob Cis oder nicht, für alle Gender gilt dabei immer: Habt euch lieb und schadet den anderen mit eurem Weltbild nicht.
Das Schlachtfeld der Geschlechtsidentitäten ist so bunt wie die Menschheit vielfältig und jeder darf sich seine Position darauf ganz frei aussuchen. Der Segen und der Fluch an dieser lockeren Organisation ist: Jeder Mensch ist selbst dafür verantwortlich. Man entscheidet selbst über seine Identität und kriegt diese nicht länger aufdiktiert. Das ist leider etwas herausfordernder als einfach in ausgetretenen Pfaden zu wandeln, aber man reproduziert auch nicht mehr die Fehler der Vergangenheit und erhält am Ende eine Form der seelischen Zufriedenheit, welche die Arbeit seinen Horizont zu erweitern mehr als wert ist. Meiner Meinung nach sollte man lieber gleich den Dienst am Gender gleich ganz verweigern, aber wer sein Gender nicht selbst macht, läuft Gefahr es von Anderen gemacht zu kriegen. Und das ist sicher das Schlimmste, was einem passieren kann. Also egal wie du es machst, Hauptsache du machst es. Du machst dein Gender, oder auch nicht, oder wie auch immer du willst. Deine Sache, deine Verantwortung, deine Chance, deine Schuld, deine Individualität, deine Sexualität, deine Entscheidung. Du machst das schon. Und wenns dir nicht gefällt, dann machs anders. Unsere Kulturgeschichte nennt sowas den »Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit«. Die Gendertheorie nennt das Konzept "Doing Gender«. In diesem Sinne: »Mach'et!«
Natürlich ist es das gute Recht eines jeden Menschen körperlich männlichen Geschlechts von sich behaupten sein soziales Geschlecht wäre Mann, wenn er sich nun mal so fühlt. So wie auch jeder Mensch körperlich weiblichen Geschlechts sein soziales Geschlecht als weiblich definieren kann. Solche Kombinationen sind durchaus möglich, aber nicht zwangsläufig die Norm. Sicher könnte man es sich einfach machen und das zur allgemeingültigen Norm erheben, das wäre dann aber menschenverachtender Mumpitz. Denn dann wäre die soziale Kategorie eine soziale Kaste, in die man geboren wird und nach der man zu leben hat, egal ob sie einem nun passt oder man sich darin unwohl fühlt. Dann wäre Geschlechtsidentität nicht mehr Chance, sondern Begrenzung der freien Entfaltung der eigenen Individualität. Das Fachwort für diese diskriminierende Menschenrechtsverletzung nennt sich Cissexismus.
Aber genug der neuen Fachwörter. Formulieren wir es doch mal ganz einfach so, wie es jeder kennt und versteht: Cissexismus ist, warum Jungs blau und Mädchen pink tragen. Cissexismus ist, warum du gemobbt wirst, wenn du es andersrum machst. Cissexismus ist, wenn du das schwache oder das starke Geschlecht bist. Cissexismus ist, warum du nicht rückwärts einparken kannst. Cissexismus ist, warum du niemals weinen darfst. Cissexismus ist, wenn man dich nicht ernst nimmt. Cissexismus ist, warum immer alles an dir hängen bleibt. Cissexismus ist, warum du davon keine Ahnung hast. Cissexismus ist, wenn du nicht befördert wirst. Cissexismus ist, wenn du dich hoch geschlafen hast. Cissexismus ist, warum du ne frivole Schlampe bist. Cissexismus ist, warum du n primitiver Arsch bist. Cissexismus ist, wenn du peinlich baggerst oder dümmlich kicherst. Cissexismus ist, wofür du dich zum Affen machst. Cissexismus ist, wenn du bei den Kindern bleiben musst. Cissexismus ist, wenn du nicht bei deinen Kindern bleiben kannst. Cisseximus ist, warum du nicht über deine Gefühle sprechen kannst. Cissexismus ist, wenn dir die Hälfte der Geschlechtsorgane abgeschnitten wird. Cissexismus ist, wenn dir deine halbe Sexualität aberzogen wurde. Cissexismus ist, wenn dir die halbe Gefühlswelt vorenthalten wird. Cissexismus ist das unbehagliche Gefühl, welches du verspührst, wenn du machst, was Menschen deines Geschlechts nicht machen sollten. Cissexismus ist die Diskriminierung, die du spürst, wenn du es trotzdem tust. Cissexismus ist die Angst, was die Leute denken könnten. Cissexismus ist der internalisierte Hass, falls du ihnen glaubst. Cissexismus ist, wer du bist und wer du nicht bist. Kurz um: Cissexismus sind zehn Jahrtausende sexistischer Ungerechtigkeit an Frauen so wie Männern und allen Menschen.
Soviel zu den wichtigsten Termini der Genderdiskusion. Abschließend meine ganz persönliche Antwort als Agender auf die Frage: »Wat is Gender?« ‑Gender ist all das an unserem Geschlecht, was sich nicht auf unsere Geschlechtsorgane bezieht. Eine zum Bersten aufgeblasene Überinterpretation. Eine Form des Glaubens, Persönlichkeiten hätten ein Geschlecht. Alle Formen von Gender, sowohl die CisGender als auch die freien Gender erachte ich als verschiedene Ausprägungen derselben Unsinnigkeit. Dem für mich nicht vollziehbaren Drang, seiner einzigartigen Persönlichkeit ein Geschlecht zu geben. Der menschliche Geist ist für mich etwas so Wundervolles, das Gender überhaupt nicht nötig hat. Gender ist die älteste Geißel der Menschheit. Eine Krankheit, die uns zerfrisst und entzweit, wo wir gemeinsam glücklich werden könnten. Eine so unsinnige Verkomplizierung des Lebens. Gender ist wie Luftgitarre spielen. Man tut so als hätte man was in der Hand, fühlt sich dabei ziemlich cool, aber sieht für mich einfach nur merkwürdig aus. Gender ist, was wir am wenigsten brauchen und am meisten haben.
Liebe Lesende
6. August 2022
Wer was zu sagen hat, sollte sich auch korrekt ausdrücken können. Also kann ich schonmal gleich die Fresse halten. Sich genderpolitisch korrekt auszudrücken, ist mir in meiner Sprache nämlich leider gar nicht möglich. Gendergerechter oder genderneutraler Sprachgebrauch sind zwar echt lobenswerte Ideale, aber lobenswerte Ideale sind wie geile Pornos. Jeder wichst drauf, aber keiner spielt drin mit. Und die Realität ist es sowieso nicht. Die Sprache der Dichter und Denker kann einfach nicht ohne Gender, obwohl sie das mal so gar nicht drauf hat. Und alle wirklich gut gemeinte linguistische Flickschusterei der gendergerechten oder genderneutralen Sprache, krazt nur an der Oberfläche einer wesentlich tiefer reichenden Altlast: Die wirklich steinalte Weltanschauung, auf der sich unsere Sprache gründet. Genauer gesagt, unser Hochdeutsch gibt es seit dem Jahre 1650. Und wie die Welt im Jahre 1650 aussah, können wir uns so ungefähr vorstellen. Damals verbrannte man lieber Hexen und Heiden, als sich um sowas wie Emanzipation oder Genderidentitäten Gedanken zu machen. Aber aus eben dieser Zeit und aus ihrem Weltbild heraus entstand unsere Sprache. Da wir inzwischen etwas klüger sind, könnte man das ganze eigentlich als reiches kulturelles Erbe abhacken und einfach sagen was man denkt. Aber so einfach ist das nicht mit dem Denken und dem Sprechen. Die Sprache die wir sprechen ist nämlich auch die Sprache in der wir Denken. Und die Sprache, in der wir denken, formt unser unsere Wahrnehmung, unser Weltbild und damit letztendlich unsere Wirklichkeit. So sehen wir die Welt von heute in einer Sprache von vor 400 Jahren. Das kann ja nicht gut gehen. Tut es auch nicht.
Das erste und exemplarische Problem der deutschen Sprache mit Gender ist, dass sie überhaupt kein Wort für Gender hat. »Geschlecht« bedeutet im Deutschen sowohl »körperliches Geschlecht« als auch »soziales Geschlecht«. Das zu unterscheiden, ist aber eine der wichtigsten Grundlagen der Genderdiskusion. Denn beides als ein und dasselbe zu sehen, wäre sexistische Bigotterie. Um so skurriler ist es, dass unsere Sprache, obwohl sie kein Wort für Gender hat, in jedem Satz immerzu Genderthemen hat. Und das nicht zu knapp. Kaum eine andere Sprache ist so genderwütig wie die unsere. Wenn wir am Sonntagnachmittag in den Garten gehen um den Rasen zu sprengen, dann nennt man uns entweder »Gärtner« oder »Gärtnerin«, je nach Geschlecht. Dem Rasen ist es zwar ziemlich egal welches Geschlecht ihn gießt und das Gras wird davon auch nicht grüner, aber der deutschen Sprache ist das Geschlecht der im Garten arbeitenden Person ungeheuer wichtig. So wie auch das Geschlecht eigentlich jeder Person über die sie redet, auch wenn es sonst niemanden interessiert. Aber so wenig das auch von Interesse sein mag, wehe dem, der es falsch macht. Nennt man den »Gärtner« »Gärtnerin« stellt man seine Männlichkeit in Frage. Nennt man die »Gärtnerin« »Gärtner« wirkt man schnell antifeministisch. So straft die deutsche Sprache Abweichungen von ihrer Norm. Egal, ob die ungewollte Zusatzinformation des Geschlechts der Personen über die man redet nun bloss unnötig und nerfig oder gar irreführend bis beleidigend wirkt, wenn die eigene Sprache Sachen macht, die der Sprecher weder braucht, noch will, ist das bedenklich.
Als wäre es nicht schon kompliziert genug, überall da zu gendern, wo es keiner braucht. Da wo man es wirklich dringend bräuchte gendert unsere Sprache dann gar nicht. So definiert der deutsche Volksmund z.b.: »Schlampe« [f. die], als »Bezeichnung für eine Frau mit den Moralvorstellungen eines Mannes«. Ein gendergerechtes Pendant lässt bis heute auf sich warten. So fehlen unserer Sprache abertausende Vokabeln, die wir eigentlich dringend bräuchten, um unsere Persönlichkeit und Gefühlswelten ordentlich auszudrücken und auszuleben. Aus Hebammen Geburtshelfer*innen zu machen oder den »Fachmann« um die »Fachfrau« zu erweitern, obwohl beides »Fachkräfte« sind, löst nämlich nicht Probleme wie beispielsweise das von Prinz und Prinzessin. Denn wenn sich Prinz und Prinzessin emanzipieren, haben sie auf einmal keine Namen mehr. Wie nennt man denn einen männlich gegenderten Menschen, der alle Attribute einer Prinzessin verkörpert? »Prinzesser«, »Prinzessor«, »Prinzesskartoffel«? Klingt alles ungewohnt und existiert im Sprachgebrauch nicht. Dafür haben wir aber von »Schwuchtel« bis »Memme« jede Menge sehr abwertende Begriffe dafür. Weiblich gegenderte Menschen, die tolle Prinzen abgeben, heißen im Volksmund auch nicht »Prinzin« oder »Prinzette« sondern eher »Kampflesbe« oder »Mannsweib«. Aber »Prinz« und »Prinzessin« mit jeweils einem genderneutralen Wort zu bezeichnen, kann unsere Sprache aber auch nicht. Tja, wer im Deutschen nicht männlicher Mann oder weibliche Frau ist, kriegt schnell ihre geballte Sprachgewallt über. Und wer sich zu anderen Geschlechtern als Cis-Frau oder ‑Mann zählt, hat in unserer Sprache schonmal gar keinen Platz. Ich persönlich bin trotzdem eine der schillerndsten und bezauberndsten Prinzessinnen der deutschen Hauptstadt, obwohl ich einen wunderschönen Prizessinenschwanz habe, auch wenn meine Muttersprache keine Worte für mich hat.
Um all diese und viele andere sprachliche Missstände auszubügeln gibt es genau so viele wie unpopuläre Ideen. Denn nur weil ein Haufen kluger Menschenrechtler auf europäischer Ebene die Strategie des Gender-Mainstreaming zur allgemeinen Richtlinie erklärt, heißt das noch lange nicht, dass jeder Hans-Otto aufhört zu reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Dafür kritisiert er lieber lautstark, seine Sprache würde verschandelt werden, wenn man sie gendergerecht gestaltet. Und damit hat er sogar recht. Die deutsche Sprache ist entweder ungerecht und wohlklingend oder gerecht und gestelzt. Aber selbst wenn wir das literarische Genie besitzen würden, welches Geschlechtergerechtigkeit und Eloquenz vereint, ist unsere Sprache einfach zu tief von Genderthemen durchdrungen, weil sie schlicht und einfach ein Erbe aus sehr sexistischen Zeiten ist.
Die erste, einfachste und meiner Ansicht nach schlechteste Idee unsere Sprache gendergerechter zu gestalten ist das vorherrschende Maskulinum um ein Femininum zu erweitern. Wir kennen das als »Gärtner(innen)«, »Gärtner/innen«, »Gärtner/-innen«, »GärtnerInnen«, »Gärtner_innen«, »Gärtner-innen«, »Gärtner_innen«, »Gärtner*innen« oder »Gärtner:innen«. Aber wie auch immer das Femininum nun angehangen wird, es führt letztendlich zum Gegenteil dessen, was es lösen möchte. Denn mit jedem »Innen« blasen wir unsere Sprache nur weiter mit Gender auf. Und nicht nur das. Wir blasen sie mit binärem Gender, dem Schlimmsten aller Genderbilder, auf. Wir festigen und fördern nur den Sexismus unserer Sprache. Unterscheiden Männer und Frauen noch intensiver, obwohl wir doch beide emanzipieren möchten. Grenzen nicht-binäre Menschen noch weiter aus, obwohl wir sie inkludieren möchten. Belasten Menschen, die nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden wollen, mit noch stärkerer Kennzeichnung ihres Geschlechts. Machen das Thema Gender nur noch größer bei dem Versuch es gerechter zu gestalten. Aber wenn Gender das Problem ist, kann noch mehr Gender nicht die Lösung sein. Nein, Genderprobleme lösen heißt Gender abbauen. Denn hat unsere Sprache kein Gender mehr, kann sie kein Geschlecht mehr diskriminieren.
Wie nimmt also der genderbesessensten aller Sprachen ihr Gender? Ohne sie komplett neu zu erfinden, was keine Option da stellt, geht das leider nicht, aber man kann die Genderthemen unserer Sprache reduzieren und so viele Schritte zur genderneutralen Sprache gehen, wie es die eigene Eloquenz erlaubt. Die beste und bisher auch erfolgreichste Strategie dazu ist die Neutralisation. In vielen Fällen reicht es schon »Frau« oder »Mann« durch »Mensch« oder »Person« o. ä. zu ersetzen und z.b. aus dem »Geschäftsmann« den »Geschäftsmenschen« zu machen. An anderen Stellen kann man sich auf den geschlechtsneutralen Plural beziehen und beispielsweise »Lesern« und »Leserinnen« einfach »Lesende« nennen. Oder man leiht sich bei anderen Sprachen, die weniger genderdurchdrungen sind, Wörter und nennt z.B. das »Kindermädchen«, welches kein männliches Pendant hat »Aupair«. Manchmal hat sogar die deutsche Sprache auch einfach schon ein genderneutrales Wort, dass man einfach nur benutzen muss. Wie z.b. zu »Dieben« und »Diebinnen« »Langfinger« zu sagen. In manchen Fällen muss man ein wenig kreativ werden um aus »Juroren« und »Jurorinnen« schlichtweg »Jurymitglieder« zu machen, aber da Sprache glücklicherweise ein lebendiges Medium ist, wird jede gute Idee wird Teil unseres Sprachvermächtnisses. Soviel zu einigen Mitteln der genderneutralen Sprache. Es gibt noch viele mehr und jeder Mensch darf sie alle nutzen..
Aber so heilsam und wichtig es auch sein mag unsere Sprache von Gender zu befreien, so unendlich weit wie der Weg dorthin scheint, wird es nochmal 400 Jahre dauern bis sie komplett frei von Gender funktioniert und sich dabei auch noch gut anhört. Doch irgendwann muss man anfangen, sonst redet man ewig so weiter als käme man aus dem Mittelalter des 16. Jahrhunderts. Und bis es so weit ist brauchen wir einfach viel Geduld, Verständnis und vor allem gute Nerven. Geduld um die sprachliche Raffinesse zu finden, die es braucht, um Gerechtigkeit und Schönheit in unserer Sprache zu vereinen. Verständnis für alle, die lieber an ihrer alten Sprache festhalten wollen. Und gute Nerven beim Sprechen einer Sprache, die trotz aller Bemühungen noch immer voll von Gender ist.
Abschließend möchte ich noch eine kleine Übung mitgeben, die schnell und effizient hilft das eigene Sprach- und Weltbild etwas zu entrümpeln.: Verzichtet einfach mal beim Sprechen und Denken auf die Wörter »männlich« und »weiblich« so wie ihre Derivate. Ersetzt sie stattdessen je nach Kontext mit einem anderen Vokabel, der beschreibt, was ihr damit sagen wollt. Z. B. wird er Satz »Mein Kollege Horst ist voll weibich« dann zu »Mein Kollege Horst ist voll empfindsam und mitfühlend«. So drückt man wesentlich genauer aus, was man eigentlich meint und lässt den armen Horst nicht so da stehen als wäre er im falschen Körper unterwegs. Klingt einfach. Ist es auch, aber kann das eigene Sprach- und Weltbild sehr bereichern. Viel Spaß damit!